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Wer war
Amalie Joachim?

Amalie Joachim war eine der berühmtesten Konzertsängerinnen des 19. Jahrhunderts. Nach ihrem Tod 1899 verschwand sie aus der kollektiven Erinnerung: Als nicht selbst komponierende Interpretin und vor allem als Frau rückte sie gemäß den Prioritäten der damaligen Geschichtsschreibung automatisch in den Schatten ihres ebenfalls hochberühmten Ehemannes – des Geigers und Brahms-Freundes Joseph Joachim. 

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Als Amalie Schneeweiß 1839 im (damals österreichischen heute slowenischen) Maribor geboren, begeisterte sich Amalie bereits als Kind für das Theater und stand mit 14 Jahren das erste Mal auf einer Opernbühne. Es folgte eine Art Lehrzeit als fahrende Sängerin und Schauspielerin sowie ein erstes Festengagement am Wiener Kärntnertortheater – begleitet von sämtlichen Schwierigkeiten, mit denen Frauen in einem Bühnenberuf damals zu kämpfen hatten:  Alle Kostüme mussten selbst beschafft (und aus Geldmangel in Amalies Joachims Fall auch selbst genäht) werden, die Bezahlung war denkbar schlecht (und musste außerdem noch für Mutter und Schwester reichen). Singen durfte Amalie jahrelang nur kleine Nebenrollen. Überdies war mit der Entscheidung fürs Theater ein sozialer Abstieg verbunden – Bühnenkünstlerinnen wurden von der bürgerlichen Gesellschaft in einem moralisch zweifelhaften Licht gesehen, gar in die Nähe der Prostitution gerückt. Erst als Amalie Schneeweiß 1862 als erste Altistin fest an die Königliche Hofoper in der damaligen Residenzstadt Hannover engagiert wurde, ergaben sich Chancen.                                 

Amalies Leben änderte sich nun von Grund auf: Joachim verkehrte mit der musikalischen Hochprominenz der damaligen Zeit – allen voran Johannes Brahms und Clara Schumann. 1869 wurde er zum Direktor der neugegründeten Königlichen Hochschule für Musik in Berlin berufen und galt als lebendes und durch sein Geigenspiel klingendes Symbol  deutscher ,ernster‘ Instrumentalmusik, die für einen Teil des damaligen Musikpublikums auch eine konservative Bastion angesichts der immer erfolgreicheren Musikdramen Richard Wagners bildete. 

 

Eine gesetzlich festgelegte und von Joachim als selbstverständlich angesehene Konsequenz für Amalie war der Abschied von der Bühne: Mit der Eheschließung erlosch quasi automatisch der Vertrag, da die Theaterintendanz damals die Einwilligung für eine Ehe geben musste. Eine Bühnensängerin als Ehefrau Joseph Joachims wäre gesellschaftlich nicht tragbar gewesen.

Amalie und Joseph Joachim | wikimedia commons

Ihren Weg als Künstlerin zu beenden kam für die zum Zeitpunkt ihrer Heirat gerade einmal 25jährige Amalie trotzdem nicht in Frage. Sie baute sich in den folgenden 17 Jahren trotz eines neuen Lebens als Ehefrau und Mutter  schrittweise auch eine neue künstlerische Existenz als Konzertsängerin auf und bewahrte sich dadurch ein Stück Unabhängigkeit. Auf dem nach damaliger Ansicht gegenüber der Theaterbühne moralisch weitaus weniger verdächtigen Konzertpodium kreierte sie sich ein neues Image und wurde bald als Königin des Oratorien- und Liedgesangs verehrt – häufig trat sie auch mit ihrem Mann gemeinsam auf und stellte sich so in den Dienst der mit ihm verbundenen kulturellen Mission. 

Amalie und Joseph Joachim | Wikimedia commons

Amalie und Joseph Joachim | www.josephjoachim.com

Nach fast 20 gemeinsamen Jahren und mit insgesamt sechs Kindern trennten sich Amalie und Joseph Joachim 1884 nach einem mehrjährigen Rosenkrieg, während dem Joachim sich vergeblich bemühte, seiner Frau eine heimliche Affäre mit dem Verleger Fritz Simrock nachzuweisen. Amalie beharrte auf ihrer Unschuld und weigerte sich, unwahre Zugeständnisse zu machen. Die zur damaligen Zeit skandalöse Trennung und gerichtliche Scheidung der Joachims schadete dem  Ansehen des Geigers und Hochschulprofessors in der Öffentlichkeit nicht – ganz im Gegensatz zu Amalie, der aufgrund gesellschaftlicher Diskreditierung zunächst die Engagements wegbrachen und die nun ein weiteres Mal von vorn anfangen musste. Mehr den je widmete sich sich nun ihrer eigenen künstlerischen Mission, mit der sich auch ein Kampf um öffentliche Anerkennung verband. So unternahm sie nun vermehrt ausgedehnte Konzertreisen in deutsche Nachbarländer, aber auch ins Baltikum und nach Russland und schließlich die USA, wo sie ausnahmslos gefeiert wurde – und auch im deutschsprachigen Raum gelang es ihr letztlich, ihren Platz als führende Lied- und Oratorieninterpretin ihrer Zeit zu behaupten. Zudem hatte sie mittlerweile begonnen, Gesangsunterricht zu erteilen. 1894 kehrte sie nach Berlin zurück und begründete eine eigene Abonnementkonzertreihe in der damaligen Philharmonie, 1897 eröffnete sie in Berlin eine eigene Gesangsschule. Nach einer Gallensteinoperation starb Amalie Joachim überraschend am vierten Februar 1899  – mit Joseph Joachim hatte sie sich noch kurz vor ihrem Tod wieder versöhnt.

Amalie Joachim | Borchard, "Stimme und Geige" 

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